Bereits seit einigen Jahren hatte Guntram Prochaska immer wieder ein paar Tage Urlaub im Elsass verbracht, als seine Hotelwirtin zufällig seinen Wohnort auf der Visitenkarte entdeckte. „Wie bitte?“ Christelle Ullmann konnte es kaum fassen: „Meine Mutter hat immer von den Grötzinger Malern gesprochen, welche um die Jahrhundertwende hier zum Arbeiten und zur Erholung weilten!“ In einer Kiste bewahrte sie Kunstwerke aus dieser Epoche auf und bat: „Da müsst ihr mal was unternehmen!“
Jetzt wird was unternommen, denn die Schätze aus der Kiste wurden mittlerweile gehoben, dazu einige andere und es besteht Hoffnung auf weitere Funde. Der deutsch – französische Kulturaustausch zwischen Grötzingen und Obersteinbach ist in vollem Gange, Besuchen und Gegenbesuche und einer ersten gemeinsame Ausstellung in der Galerie der Grötzinger Heimatfreunde folgt nun eine im Elsass, „Die Malerkolonie in Obersteinbach“. Zur Eröffnung erschienen Bürgermeister und Ortsvorsteher aus Orten in Frankreich und Deutschland, zahlreiche Freunde des Patrimoine d’ici und der Grötzinger Kunst- und Kulturszene, allen voran Ortsvorsteherin Karen Eßrich und Klaus Feige, Vorsitzender der Heimatfreunde. Umfangreiche Einführungen, französisch und deutsch, begleiteten die Vernissage, die in einem gemeinsamen Kunstprojekt von Guntram Prochaska mit Kindern ihren Abschluss fand.
Die Ausstellung in Obersteinbach, der Bernhard H. Bonkhoff einen umfangreichen Katalog gewidmet hat, sieht das Kunstschaffen von 1896 bis 1918 in ihrem Ort nicht nur als eine Dependance Grötzingens, sondern als eigenständige „Malerkolonie Obersteinbach“. Daher widmet sie neben den Malern aus dem Badischen um Franz Hein auch deren Nachfolgern einen gewissen Raum ein. Besonders umfangreich beschäftigen sich Katalog und Exposition mit einem Thema, welches in Grötzingen bisher nur wenig Beachtung fand: Den Malschulen für junge Frauen. Diese, in Grötzingen uncharmant „Malweiber“benannt, scharten sich in Obersteinbach unübersehbar zunächst um Franz Hein, später auch um andere Künstler, um hier das Malen zu lernen. „Das war radikal neu“, sagt Christelle Ullmann. „Die jungen Damen aus gutem Hause saßen in Hut und Kostüm an ihren Staffeleien im Kartoffelacker. Ein denkwürdiger Anblick für Obersteinbacher Einwohner.“ Ein wenig provozieren wollten sie schon, doch bald folgten ihnen ihre bürgerlichen oder gar herrschaftlichen Familien zur Sommerfrische und brachten dem Dorf einen neuen Erwerbszweig: Tourismus. „Eine richtige kleine Kunstschule entwickelte sich dann in dem stillen Dorfgasthaus, das bald seinen Vorteil erkannte und für die immer größer werdende Zahl der Schülerinnen, durch die auch Verwandte und Freunde zur schönen Sommerfrische in das schöne Land gezogen wurden, einen großen Speisesaal anbaute“, schreibt Franz Hein. Dieser Speisesaal steht zwar heute nicht mehr, aber das Gasthaus „Anthon“ noch immer.
Franz Hein brachte seinen Schülerinnen die neue Technik der Lithografie bei, mit der sich Bilder sehr schnell in großer Auflage verbreiten konnten. Wie die Grötzinger und Karlsruher Künstler wollte man weg von den billigen Öldrucken, mit denen die weniger Begüterten ihre Zimmer schmückten. „Sie sagten: ,Wenn ihr eine Lithografie kauft, ist das ein Original‘“, berichtet Obersteinbach-Kenner Bonkhoff. Die Künstler druckten nicht nur ihren Namen in das Bild ein, sondern unterschrieben mit ihrem Namenszug, und machten es so zu einem echten Kunstwerk, dass man sich finanziell leisten konnte.
Vor 100 Jahren zerrissen der Erste Weltkrieg und eine trennende Grenzlinie das Band zwischen Grötzingen und Obersteinbach, die Verbindung geriet in Vergessenheit. Jetzt erblüht eine neue Zeit des kulturellen Austauschs. „Ich fühlte mich wie in ein lebendiges Bild meines Urgroßvaters Franz Hein hineingefahren“ schildert Franziska Schilka-Oehme ihre Anreise nach Obersteinbach zur Ausstellungseröffnung. „Hier treffen sich heute nicht nur Deutsche mit Franzosen, nein, hier sind wir alle dies: Europäer!“ – StS
Die Malerkolonie Obersteinbach 1896 – 1918, Ausstellung noch bis zum 13. Oktober 2019 jeweils samstags und sonntags in der Maison des Chateaux Forts, 42, Rue Principale, F 67510 Obersteinbach (E-Mail: [email protected]).
Der umfangreiche und äußerst informative Katalog von Bernhard H. Bonkhoff mit einer Beschreibung der Grötzinger Malerkolonie von Jutta Leyendecker kann in der Ausstellung oder bei den Heimatfreunden Grötzingen erworben werden (Tel.: 0721 481097).
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